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Polizeirecht: "Der lärmende Trabi"
apf (Ausbildung, Prüfung, Fortbildung), Heft 8/2001, Landesausgabe Sachsen, S. 63
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Gliederung
Sachverhalt
Lösungsvorschlag
Anmerkung
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Sachverhalt:
Anfang 2000 liess Hiltrud Spröder in ihren PKW der Marke Trabant eine Alarmanlage einbauen. Ab Ende März 2000 löste diese Anlage häufig Alarm aus. Wegen des ohrenbetäubenden Lärms der Anlage haben die Nachbarn von Frau Spröder oft keinen Schlaf in der Nacht gefunden.
Die Nachbarn waren bei Frau Spröder erschienen, um sie darum zu bitten, die Anlage auszubauen, damit sie wieder schlafen können. Frau Spröder weigerte sich jedoch, dies zu tun. Sie wies die Nachbarn darauf hin, dass die Anlage zum Schutz ihres Wagens sei.
Daraufhin gingen die Nachbarn zum Ordnungsamt der Stadt Frankenberg und beantragten dort ein Einschreiten seitens der Stadt.
Ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes, Herr Klaus Bräller, machte sich mehrere Nächte hintereinander ein Bild von dem von den Nachbarn vorgetragenen Sachverhalt. Er stellte fest, dass die Alarmanlage bei vorbeifahrenden PKW und bei Windstärken sofort ansprang und einen lauten und durchdringenden Ton von sich gab.
Mit Datum vom 14. 7. 2000 erhielt Frau Spröder eine Ordnungsverfügung der Stadt Frankenberg, in der Folgendes verfügt wurde:
1. Die in Ihrem PKW Trabant amtliches Kennzeichen MW - DE 123, eingebaute Alarmanlage wird hiermit beschlagnahmt.
2. Die beschlagnahmte Alarmanlage wird eingezogen.
3. Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 und 2 wird angeordnet.
Diese Ordnungsverfügung enthielt folgende Begründung:
Sie sind Halterin des PKW Trabant, amtliches Kennzeichen MW - DE 123, in dem Sie eine Alarmanlage eingebaut haben.
Diese Anlage löst seit mehreren Wochen vorwiegend in der Nacht Alarm aus. Durch unseren Mitarbeiter Klaus Bräller wurde festgestellt, dass jede leichteste Erschütterung Ihres Fahrzeugs durch einen Windstoss oder durch vorbeifahrende Fahrzeuge Alarm auslöst. Die ständige Störung der Ruhe im Wohngebiet hat zu einer Beschwerde Ihrer Nachbarschaft geführt. Die Nachbarschaft ist mittlerweile durch diese Anlage so in ihrer Nachtruhe beeinträchtigt, dass insbesondere die betroffenen Kinder schon nachteilige Folgen durch die ständigen Störungen zeigen.
Damit nun endlich wieder geordnete Zustände und eine wohlverdiente Nachtruhe herrschen, ist eine Beschlagnahme geboten. Da Sie auch nicht bereit sind, die Alarmanlage ausgebaut zu lassen, muss diese auch von uns eingezogen werden.
Es ist kein milderes Mittel ersichtlich, das die Störung mit der erforderlichen Gewissheit beseitigen könnte.
Schliesslich ist die körperliche Unversehrtheit ein hohes Rechtsgut, hinter dem Ihre Alarmanlage zum Schutz ihres Eigentums zurücktreten muss.
Die sofortige Vollziehung wurde mit dem erforderlichen öffentlichen Interesse ausführlich begründet.
Der Bescheid ist mit einer ordnungsgemässen Rechtsbehelfsbelehrung versehen und wurde von Herrn Taubner, Amtsinspektor, unterschrieben.
Nachdem Frau Spröder am 17. 7.2000 den Bescheid erhalten hatte, unterhielt sie sich mit ihrer Freundin Brunhild Brauch. Sie erklärte dieser gegenüber, dass sie sich in keinem Fall an die Ordnungsverfügung halten wolle. Ihr Trabant sei ein besonderer Wagen, der auch vom Zwickauer-Trabbi-Club sehr geschätzt werde. Schliesslich wäre das Eigentum an einem PKW auch durch das Grundgesetz geschützt und eine Behörde könne nicht über ihr Eigentum verfügen.
Frage:
1. Ist die Ordnungsverfügung der Stadt Frankenberg rechtmässig?
2. Frau Spröder will der Ordnungsverfügung nicht nachkommen. Hat die Stadt Frankenberg die Möglichkeit, mit unmittelbarem Zwang vorzugehen?
Beantworten Sie die Fragen unter Angabe der einschlägigen Rechtsvorschriften
Bearbeitungshinweise:
1. Prüfen Sie die Rechtmässigkeit der Beschlagnahme und der Einziehung getrennt.
2. Auf mögliche Straf- oder Ordnungswidrigkeiten-Tatbestände und das BImSchG ist nicht einzugehen.
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Zu Frage 1:
A. Rechtmässigkeit der Beschlagnahme
Die Beschlagnahme ist formell und materiell rechtmässig.
I. Ermächtigungsgrundlage (Gesetzesvorbehalt, Art. 20 III GG)
Als ErmÃächtigungsgrundlage kommt § 27 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG in Betracht.
II. Formelle Rechtmässigkeit
1. Zuständigkeit
Die Stadt Frankenberg ist gemäss §§ 64 Abs. 1 Nr. 4, 68 Abs. 2 SächsPolG als Ortspolizeibehörde zuständig.
2. Verfahren
Eine Anhörung von Frau Spröder vor Erlass der Verfügung erfolgte nicht. Eine Anhörung ist erforderlich, da gegenüber Frau Spröder ein belastender VA erlassen wurde, § 28 Abs. 1 VwVfG.
Die Anhörung ist nicht entbehrlich, da die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 und 3 VwVfG nicht vorliegen.
Eine Heilung ist gemäss § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG möglich. Dies kann bis zum Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens erfolgen, § 45 Abs. 2 VwVfG.
3. Form
Die Form der Verfügung ist gemäss § 37 Abs. 2 Satz 1 VwVfG gewahrt.
III. Materielle Rechtmässigkeit der Beschlagnahme
1. Tatbestand
Die Voraussetzungen der Beschlagnahme müssen vorliegen.
a. Öffentliche Sicherheit
Die öffentliche Sicherheit ist betroffen, wenn Rechtsgüter der Allgemeinheit oder des Einzelnen, die objektive Rechtsordnung oder der Staat und seine Einrichtungen und Veranstaltungen verletzt sein können.
Hier liegt eine Betroffenheit der Rechtsgüter des Einzelnen, der Nachbarn, vor. Die Nachbarn sind in ihrer körperlichen Unversehrtheit betroffen, sie leiden unter Schlafmangel und gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
b. Gefahr
Es liegt nicht nur eine konkrete Gefahr vor, denn zum Zeitpunkt des polizeilichen Einschreitens ist es bereits zu einer Störung gekommen.
c. Zwischenergebnisse
Damit liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor.
2. Polizeipflicht
Als Halterin des PKW ist Frau Spröder Zustandsstörerin gemäss § 5 SächsPolG.
3. Rechtsfolge
Die Rechtsfolge von § 27 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG sieht Ermessen vor.
a. Ermessen (§ 3 II - IV SPolG analog)
Ermessensfehler sind keine ersichtlich. Insbesondere ist die Auswahl des Störers zu Recht erfolgt. In Betracht kommen könnten die Fahrer der vorbeifahrenden PKW, die den Alarm auslösen. Nach dem Gebot der Effektivität bei der Störerauswahl wäre es allerdings sehr aufwendig, diese zu ermitteln, abgesehen davon hat die Inanspruchnahme der Halterin Vorrang.
b. Verhältnismässigkeit
Die Beschlagnahme muss auch verhältnismässig sein.
aa. geeignet
Die Beschlagnahme ist geeignet, die Störung der öffentlichen Sicherheit zu beseitigen.
bb. erforderlich
Die Beschlagnahme ist auch erforderlich. Es gibt kein milderes, gleich geeignetes Mittel, um die Störung zu beseitigen.
cc. Verhältnismässigkeit im engeren Sinne
Hier ist eine Zweck-Mittel-Relation vorzunehmen, d. h., das gewählte Mittel darf nicht ausser Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen.
Der Zweck ist die Wiederherstellung der Nachtruhe der Nachbarn. Das ist ein hohes Rechtsgut. Dem steht das Eigentum von Frau Spröder als geringeres Rechtsgut gegenüber. Dieses muss gegenüber dem Rechtsgut Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zurücktreten.
Damit ist die Beschlagnahme (nur der Alarmanlage, nicht des Fahrzeugs) auch verhältnismässig.
IV. Ergebnis
Die Beschlagnahme ist formell und materiell rechtmässig.
B. Rechtmässigkeit der Einziehung
Die Einziehung ist formell und materiell rechtmässig.
I. Ermächtigungsgrundlage
Dies ist § 28 Abs. 1 SächsPolG.
II. Formelle Rechtmässigkeit der Einziehung
1. Zuständigkeit
Die Stadt Frankenberg ist gem § 64 Abs. 1 Nr. 4, 68 Abs. 2 SächsPolG zuständig.
2. Verfahren
siehe oben.
3. Form
Die Schriftform des § 28 Abs. 1 Satz 2 SächsPolG ist gewahrt.
III. Materielle Rechtmässigkeit der Einziehung
1. Tatbestand
Die Voraussetzungen der Einziehung liegen vor. Würde Frau Spröder die Alarmanlage wieder herausgegeben, so würde sie diese nach ihrer eigenen Aussage zufolge auch wieder in Betrieb nehmen. Damit lägen dann sofort wieder die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme vor.
2. Polizeipflicht
Frau Spröder ist gemäss § 5 SächsPolG Zustandsstörerin.
3. Rechtsfolge
Die Rechtsfolge von § 28 Abs. 1 SächsPolG sieht Ermessen von
a. Ermessen
Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
b. Verhältnismässigkeit
aa. geeignet
Die Einziehung ist geeignet, die Störung zu beseitigen.
bb. erforderlich
Die Einziehung ist das mildeste Mittel zur Beseitigung der Störung.
cc. Verhältnismässigkeit im engeren Sinne
Die Einziehung ist auch verhältnismässig im engeren Sinne. Frau Spröder hat zum Ausdruck gebracht, dass sie sich nicht an diese Verfügung halten wolle (Begründung wie oben).
Zu Frage 2:
Die Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs müssen vorliegen.
1. Vollstreckungstitel
Zunächst muss ein vollstreckbarer Titel gegeben sein.
Die Stadt Frankenberg hat die sofortige Vollziehung gemäss § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet. Damit liegt nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SächsVwVG ein vollstreckbarer Titel vor.
2. Zwangsgeld gemäss § 22 SächsVwVG
Zwangsgeld kommt als Zwangsmittel nicht in Betracht. Da Frau Spröder nicht bereit ist, ihre Alarmanlage auszubauen, wird sie dies auch unter dem Druck des Zwangsgeldes nicht machen.
3. Ersatzvornahme gemäss § 24 SächsVwVG
Eine Ersatzvornahme kommt nicht in Betracht, weil es eine Handlung ist, die durch die Behörde nicht ersetzt werden kann, weil die Handlung gerade gegenüber der Behörde vorzunehmen ist, nämlich die Herausgabe der Alarmanlage.
4. Unmittelbarer Zwang gemäss § 25 SächsVwVG
Damit bleibt als einziges Zwangsmittel der unmittelbare Zwang. Dieser wurde gemäss § 20 SächsVwVG vorher angedroht und ist als verhältnismässig anzusehen.
a. geeignet
Der unmittelbare Zwang ist geeignet, um an die Alarmanlage zu kommen.
b. erforderlich
Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich, da Frau Spröder zum Ausdruck brachte, dass sie sich nicht an die Verfügung halten wolle.
c. Verhältnismässigkeit im engeren Sinne
Der unmittelbare Zwang steht zu dem angestrebten Zweck, nämlich wieder Nachtruhe bei den Nachbarn einkehren zu lassen, in einem angemessenen Verhältnis.
5. Ergebnis:
Damit konnte die Stadt Frankenberg den unmittelbarem Zwang gegenüber Frau Spröder androhen.
Nach § 30 II SPolG ist die Anwendung des unmittelbaren Zwangs dem Polizeivollzugsdienst vorbehalten.
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Anmerkung:
Die Klausur wurde im Rahmen der Staatsprüfung 1999 für den mittleren allgemeinen Verwaltungsdienst des Freistaates Sachsen gestellt.
Sie beruht auf einem Urteil des VG Stuttgart vom 15.12.1988, 1 K 3109/87
Zu einem Beschlagnahmefall siehe auch die Klausur
Der unfreiwillige Fussgänger
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