Zur Versammlungsfreiheit in der DDR
Charlotte von Mahlsdorf erinnert sich
1974 war es, als in der Ostberliner Stadtbibliothek erstmals ein wissenschaftlicher Vortrag über Homosexualität gehalten wurde. Nachdenklich stieg ich anschließend die Treppen hinunter. Als ich aus der Tür trat, drang Stimmgewirr an mein Ohr. Auf der Straße führten Männer und Frauen, sich pantomimisch ereifernd, das Wort: Wo leben wir denn eigentlich ? Versammlungsverbot, keine Inserier- möglichkeiten. Ich stand zunächst abseits und verfolgte die Diskussion. Dann ging ich auf sie zu und bot an: Ja Kinder, wenn ihr Räume für ein Beisammensein sucht, könnt ihr zu mir nach Mahlsdorf kommen. Miete braucht ihr nicht zu zahlen, nur ein bisschen was für Licht und Heizung...
Im April 1978 wollten die homosexuellen Frauen ein Lesbentreffen bei mir veranstalten. Sie verschickten Einladungen in die ganze DDR, was der Staatssicherheit nicht verborgen blieb. Die Deutsche Post tat schon immer etwas mehr, als Briefe nur zu befördern. Zuweilen nahm sie dem Empfänger gleich die Arbeit der Lektüre ab.
Einen Tag vor dem Treffen klingelten 2 Polizisten an meiner Tür. Der eine, ganz Nieselpriem, hatte eine gleichmütige Amtsmiene aufgesetzt, während der andere mich, belustigt über meinen Aufzug, aus hochmütig-spöttischen Augenwinkeln musterte. Nieselpriem kam gleich zur Sache und faselte etwas von einer verbotenen Veranstaltung. Ich lade mir nur Gäste ein. Was sind das für Gäste? Schwule Mädchen wie ich. Was soll diese Fragerei?...
Sie kennen das Recht der Deutschen Demokratischen Republik schlecht, belehrte er mich. Träfen sich mehr als 6 Menschen, und sei es zum Geburtstag von Onkel Otto, sei dies eine Versammlung, welche die Polizei genehmigen müsse. Ich sollte ein Schild an die Tür hängen: Wegen Wasserrohrbruch fällt die Veranstaltung aus. Ich weigerte mich...
Da von den Gästen keiner mehr informiert werden konnte, trommelten sie (die Lesben) kurzerhand alle Berliner Gruppenmitglieder zusammen, stellten sich am nächsten Tag an die Bahnhöfe, fingen die ahnungslosen Frauen ab und dirigierten sie zu einem geheimen Treffpunkt...
Ein paar Tage darauf erhielt ich ein Schreiben vom Stadrat für Kultur: Hiermit werden Herrn Lothar Bierfelde jegliche Art von Versammlungen und Veranstaltungen im Gründermuseum untersagt.
Quelle:
DDR-Geschichte in Dokumenten, herausgegeben von Matthias Judt
Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 350, Bonn 1998, S. 212
|